8. Fachtagung der Volontärinnen und Volontäre an Orten der Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Frauen und NS

8. Fachtagung der Volontärinnen und Volontäre an Orten der Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Frauen und NS

Organisatoren
Volontärinnen und Volontäre an Orten der Aufarbeitung des Nationalsozialismus
Ort
Ravensbrück
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.10.2021 - 29.10.2021
Url der Konferenzwebsite
Von
Charlotte Trottier, Gedenkstätte Bergen-Belsen, Stiftung niedersächsische Gedenkstätten

Zweimal jährlich treffen sich die Volontärinnen und Volontäre an Orten der Aufarbeitung des Nationalsozialismus in unterschiedlichen Gedenkstätten und Erinnerungsorten zur Vernetzung und zum fachlichen Austausch während des Volontariats. Die achte Fachtagung fand in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück statt und wurde von ANGELIKA SALZER, der wissenschaftlichen Volontärin der Mahn- und Gedenkstätte, organisiert und moderiert. Das Konzentrationslager Ravensbrück bei Fürstenberg an der Havel war, neben einem Männerlager ab 1941 und einem 1942 in der Umgebung des Hauptgeländes errichteten sogenannten „Jugendschutzlager“, das größte deutsche Frauenkonzentrationslager und bot somit einen besonderen Zugang zum übergeordneten Thema der Fachtagung „Frauen und Nationalsozialismus“. Frauen bekleideten im Nationalsozialismus unterschiedliche Rollen – ob als Täterinnen beispielsweise im SS-Gefolge, Tatbeteiligte, Mitwisserinnen, in Strukturen des Widerstands oder als Betroffene. Aber auch die Perspektive auf Frauen und Weiblichkeit im Nationalsozialismus prägte ihre Handlungen und griff unmittelbar in ihr Leben ein. Ziel der Tagung war es daher, verschiedene Aspekte der NS-Zeit und des damit verbundenen Verfolgungssystems sowie der Aufarbeitungs- und Erinnerungskultur unter geschlechterspezifischen Aspekten zu betrachten, um auf diese Weise multiperspektivische Erkenntnisse über die NS-Zeit und zu ihrer Aufarbeitung zu erarbeiten und diskutieren. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen aus unterschiedlichen Einrichtungen aus dem gesamten Bundesgebiet. Vertreten waren neben der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück die Gedenkstätten Sachsenhausen, Buchenwald, Neuengamme, Mittelbau-Dora, Bergen-Belsen, das NS Dokumentationszentrum München, der Geschichtsort Villa ten Hompel, das Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg, die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz sowie die Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel.

Nach einer Begrüßung durch die Gedenkstättenleiterin ANDREA GENEST und einer Einführung in die Arbeit mit Objekten für Ausstellungen der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück durch HANNAH SPRUTE und SABINE AREND, berichtete Angelika Salzer über ein Austauschprogramm des deutsch-französischen Jugendwerks (OFAJ/DFJW), das sie während ihres Volontariats im Musée de la Résistance et de la Déportation de Besançon absolvierte. Dieses ermöglicht es Volontärinnen und Volontären, Museen und Gedenkstätten in Frankreich kennenzulernen. Das OFAJ/DFJW organisiert Arbeitsaufenthalte für Volontärinnen und Volontäre in Kooperation mit der Direction générale des patrimoines – Service des musées de France et departement des affaires européennes et internationales und der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Außerdem stellte HANNAH SPRUTE ein Projekt der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück über ein geplantes Ausstellungsprojekt vor, das sich mit der „Deportation von Frauen aus Frankreich ins KZ Ravensbrück 1942-1945“ befasst. Ziel des Projektes sei es dabei, die Vielfalt dieser spezifischen Gruppe französischer Frauen und Frauen anderer Nationalitäten darzustellen, die ab 1942 vom NS-Regime in das Konzentrationslager deportiert wurden. Geplant sei unter anderem eine neue Wanderausstellung in deutsch-französischer Sprache, die international gezeigt werden soll.

Die Führung über das Gelände der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück mit Besichtigung der Dauerausstellung führte ANGI MEYER unter einem besonderen Schwerpunkt auf Geschlecht (gender) durch. Die Internierung von Frauen im Konzentrationslager Ravensbrück zog einige Besonderheiten nach sich, die nur vor einer geschlechterspezifischen Perspektive darstellbar werden. Der Blick auf Weiblichkeit sowie die Rolle und Funktion von Frauen während der NS-Zeit führte einerseits dazu, dass Frauen, die als „abnorm“ wahrgenommen wurden, verfolgt, interniert und teilweise ermordet wurden, andererseits prägte er auch verschiedene Praktiken im Lager, darunter die der Lagergesellschaft, aber auch Gewaltpraktiken gegenüber den Gefangenen. So war auch der Blick auf Frauen als Täterinnen allgegenwärtig. Während der Führung bekamen die Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer beispielsweise Einblicke in die Strukturen, den Alltag sowie die Hintergründe des weiblichen SS-Gefolges. Ferner wurden verschiedene Erinnerungspraktiken sowie Spezifika der Gedenkkultur und -geschichte des Frauenkonzentrationslagers unter diesem Aspekt thematisiert. Dazu gehörte neben sprachlichen und stilistischen Besonderheiten beim Verfassen von Tagebucheinträgen oder Gedichten sowie der frauenspezifischen Verarbeitung in der bildenden Kunst auch der erinnerungspolitische Umgang mit der Mahn- und Gedenkstätte in den Gedenklandschaften der DDR und der Gegenwart.

Im Anschluss hielt RENÉ EMMENDÖRFER (Gedenkstätte Buchenwald) einen Vortrag über einen aktuellen Forschungsschwerpunkt seines Volontariats, „Frauen im Speziallager Nr. 2 in Buchenwald“. Das Speziallager in Buchenwald war eines von insgesamt zehn Internierungslagern während der sowjetischen Besatzungszeit. In ihm waren insgesamt 28.500 Menschen interniert. Während die meisten Funktionsträgeraufgaben während des Nationalsozialismus innehatten, waren manche aus anderen Gründen interniert. Die Biographien der Internierten waren also durchaus verschieden. Der Anteil von Frauen im Speziallager war vergleichsweise gering. Dennoch lassen sich anhand einiger Beispielbiographien ein vielschichtiges Bild ihres Lebens während der Internierung und beispielsweise auch Unterschiede im Umgang mit männlichen Gefangenen aufzeigen, so der Referent. Teilweise handelte es sich um NS-Täterinnen, teilweise um Doppeltverfolgte, die nach ihrer Internierung im Konzentrationslager beispielsweise wegen Spionageverdachts im Speziallager interniert waren. Unter Berücksichtigung der grundlegenden strukturellen Unterschiede der Lager- und Internierungsformen, wurde im Rahmen des Vortrags eine differenzierte Perspektive auf Frauen im Speziallager Nr. 2 vermittelt.

Am Nachmittag hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung Zeit und Gelegenheit, sich die Sonderausstellung der Mahn- und Gedenkstätte – „Im Gefolge der SS – Aufseherinnen des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück“, weitere Aspekte der Dauerausstellung sowie das sogenannte „Führerhaus“ und die darin befindliche Ausstellung anzusehen. Die gemeinsame Besichtigung und Auseinandersetzung mit den Ausstellungen und Orten diente dabei der Vertiefung der bereits erarbeiteten Schwerpunkte der Tagung unter besonderer Berücksichtigung der Rolle von Frauen sowohl als Betroffene als auch als Täterinnen während der Zeit des Nationalsozialismus. Mit Blick auf den Schwerpunkt der Tagung, hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer so die Gelegenheit, mehr über die Herkunft der Täterinnen im SS-Gefolge sowie die Gewaltverhältnisse im Lager zu erfahren. Außerdem wurden Ausbildung, Aufstiegsmöglichkeiten und die Rekrutierung der Aufseherinnen im Konzentrationslagersystem thematisiert und vertieft. Die Ausstellung im sogenannten „Führerhaus“ thematisierte zudem das im Kontrast zu den Aufseherinnen stehende Familienleben des Lagerkommandanten und seiner Frau sowie die anschließende Nutzung und Umgestaltung des Gebäudes durch die Rote Armee.

In der Fortführung des Austauschs über das Volontariat und anschließende Perspektiven sowie die unterschiedlichen Phasen des Volontariats waren unter anderem die verschiedenen Erfahrungen während der Corona-Pandemie, aktuelle Projektarbeiten sowie organisatorische Fragen zum Volontariat Thema.

Anschließend hielt JOHANNES LEHMANN (Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg) einen biographischen Vortrag über Lisa Weiß, die Ehefrau des KZ-Kommandanten Martin Gottfried Weiß, der die Konzentrationslager Dachau und Neuengamme sowie das Konzentrations- und Vernichtungslager Lublin-Majdanek leitete. Die im Vortrag dargestellte Perspektive auf Lisa Weiß behandelte vor allem die Frage, inwiefern sie als SS-Ehefrau nicht nur vom System der Konzentrations- und Vernichtungslager während des Nationalsozialismus profitierte, sondern die Taten ihres Ehemanns auch unterstützte und ermöglichte. In der an den Vortrag anschließenden Diskussion wurde vor diesem Hintergrund auch die Frage diskutiert, inwiefern Lisa Weiß als Tatbeteiligte betrachtet werden könnte. Außerdem gab der Referent einen Überblick über die Familiengeschichte nach 1945 und den individuellen und stark unterschiedlichen Umgang mit Täterschaft in diesem Kontext.

In einem weiteren Vortrag stellte GWENDOLINE CICOTTINI (Gedenkstätte Buchenwald) die Ergebnisse ihrer im vergangenen Jahr abgeschlossenen Promotion vor, in der sie sich mit Kindern deutscher Frauen und französischer Kriegsgefangener beschäftigte. Die Beziehung zwischen deutschen Frauen und französischen Kriegsgefangenen während der Zeit des Nationalsozialismus zog nicht selten eine Strafverfolgung mit sich. In „schweren Fällen“ wurden die betroffenen Frauen mit Zuchthaus bestraft; französische Kriegsgefangene mussten sich vor Militärgerichten der Wehrmacht verantworten, von denen sie in der Regel wegen „Ungehorsams“ verurteilt wurden. Insgesamt wurden in der Studie 1.785 Fälle deutscher Frauen ausgewertet. Neben einer ausführlichen Erläuterung der Quellenlage und ihrer Problematiken – beispielsweise wurden nur bestimmte Fälle in den Gerichtsakten erfasst und eine korrekte Rekonstruktion der Fälle ist zudem nicht immer möglich – zeigte die Referentin exemplarisch an einer Beispielbiographie, dass nicht immer das Justizsystem, sondern auch die Gestapo in einigen Fällen an der Verfolgung beteiligt war. Teilweise wurden die Frauen in Konzentrationslager, beispielsweise auch nach Ravensbrück, deportiert. Für die Aufarbeitung der Schicksale französischer Kriegsgefangener und somit auch derjenigen, die im Kontext einer Beziehung zu einer deutschen Frau verurteilt wurden, ist heute in Frankreich der Service diplomatique des Prisonniers de guerre (SDPG) zuständig.

Die nächste bundesweite Fachtagung der Volontärinnen und Volontäre an Orten der Aufarbeitung des Nationalsozialismus wird im Frühjahr 2022 voraussichtlich in der Gedenkstätte Buchenwald stattfinden.1

Konferenzübersicht:

Andrea Genest (Mahn- u. Gedenkstätte Ravensbrück): Begrüßung

Hannah Sprute (Mahn- u. Gedenkstätte Ravensbrück) / Sabine Arend (Mahn- u. Gedenkstätte Ravensbrück): Einführung: Ausstellungobjekte

Austausch Volontariat

Angelika Salzer (Mahn- u. Gedenkstätte Ravensbrück): Vorstellung OFAJ/DFJW-Austauschprogramm

Hannah Sprute (Mahn- u. Gedenkstätte Ravensbrück): Projektvorstellung: „Deportation von Frauen aus Frankreich ins KZ Ravensbrück 1942-1945“

Angi Meyer (Mahn- u. Gedenkstätte Ravensbrück): Führung Gelände und Ausstellungen

René Emmendörfer (Gedenkstätte Buchenwald): Vortrag: „Frauen im Speziallager Nr. 2 in Buchenwald“

Besichtigung der Ausstellungen „,Im Gefolge der SS‘ – Aufseherinnen des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück“, „Das ‚Führerhaus‘: Alltag und Verbrechen der Ravensbrücker SS-Offiziere“, Vertiefung Dauerausstellung

Johannes Lehmann (Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg): Lisa Weiß. Die Ehefrau des KZ-Kommandanten Martin Gottfried Weiß

Gwendoline Cicottini (Gedenkstätte Buchenwald): Verbotener Umgang, vergessene Kinder – Beziehungen deutscher Frauen zu französischen Kriegsgefangenen während des Zweiten Weltkriegs

Fortsetzung Austausch Volontariat, Planung der nächsten Fachtagung

Anmerkung:
1 Um sich für den Verteiler anzumelden, senden Sie bitte eine E-Mail an: tomke.blotevogel@stiftung-ng.de.


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